Ich war genervt. Genervt von Xenija, meiner liebsten Freundin und Seelenverwandten, die ich nur wenige Tage vorher am liebsten geküsst und am ganzen Körper gestreichelt hätte – und die mir mehr bedeutete als jeder andere Mensch.
Es kam mir völlig falsch und absurd vor. Wieso war ich genervt? Was hatte sie nur getan, dass ich mich so fühlte? Was hatte ich getan, dass ich mich so fühlte?
Löffle dein Leben
Genervt von der besten Freundin
Xenija und ich kennen uns bereits seit dem Kindergarten. Wir waren beste Freundinnen gewesen. Wir hatten über alles sprechen können, hatten fast immer dieselbe Meinung und akzeptieren den anderen, wenn es mal nicht so war. Wir kannten uns in- und auswendig.
Und je älter wir wurden, desto stärker wurde das Band unserer Freundschaft.
Im Alter von 18 Jahren kämpfte ich gegen Selbstzweifel und Unsicherheiten an. Ich klammerte mich an Xenija fest, von der ich dachte, sie sei die einzige Person, die mich immer lieben würde. Sie wurde mein Anker, ohne den ich im Meer meiner Gefühle ertrunken wäre. So entwickelte ich nicht nur mentale, sondern auch körperliche Gefühle Xenija gegenüber.
Es kam eins zum anderen und Xenija und ich tauschten einen Kuss aus, von dem wir beide nicht begeistert waren. Und kurz nach dem Kuss tauchte ein negativ behaftetes Gefühl auf, welches ich Xenija gegenüber noch nie empfunden hatte: Ich war genervt. Genervt von meiner besten Freundin.
Ich wusste mit dem Gefühl nicht umzugehen, denn ich wollte es nicht fühlen. Ich wollte nicht genervt von Xenija sein. Mein Versuch, das Gefühl zu ignorieren, scheiterte und führte dazu, dass Xenija und ich beschlossen, getrennte Wege zu gehen.
Die ganze Geschichte kannst du in meinem Buch “Löffle dein Leben” nachlesen.
Jahre nach der Trennung verfolgten mich immer wieder diese zwei Fragen: “Was hatte sie nur getan, dass ich mich so fühlte? Was hatte ich getan, dass ich mich so fühlte?”
Heilendes Schreiben – Heilendes Lektorat
Und jahrelang hatte ich nie eine Antwort darauf gefunden. Ich schrieb meine Gefühle in meinem Buch “Löffle dein Leben” nieder. Oft, wenn ich über meine Gefühle und Erfahrungen schreibe, dann komme ich mir auch ein Stück näher und erkenne vielleicht Dinge, die mir vorher nicht aufgefallen waren. So hatte ich die Hoffnung, mir würde die Antwort auf meine Fragen wie Schuppen von den Augen fallen. Aber die Antwort blieb aus.
Erst als ich mein Buch bei Bettina Belitz zum Korrekturlesen einreichte, erhielt ich meine Antwort. Bettina schickte mir eine Sprachnachricht und erklärte mir, warum wir Menschen manchmal genervt sind:
“Meistens ist es ja so, dass – wenn wir meinen, von einer anderen Person genervt zu sein -, dass wir in Wahrheit von etwas in uns selbst genervt sind und der andere spiegelt das im Grunde wider oder triggert das an. Und dieses Gefühl von Genervtsein – ich nehme das wahr, als etwas, das man am liebsten von sich abschütteln würde, das immer dann da ist, wenn die andere Person da ist – das kommt ja ganz massiv nach dem eher durchschnittlichen Kuss. Mit dem Kuss, mit dem auch gewisse Erwartungen vielleicht geknüpft gewesen sind, oder auch Hoffnungen, und der dann ganz anders ist. Was ja ganz oft so ist. Das ist ja ein weit verbreitetes Phänomen: Die Erwartungen, die man hat bei einer Begegnung, oder bei Nähe, und dann wie es wirklich ist. Eigentlich sind wir nicht genervt von dem anderen, sondern es ist etwas in uns selbst, was wir abschütteln möchten. Und das hat meistens mit Unsicherheiten und Zweifeln zutun. Nichts sägt mehr an den Nerven wie Selbstzweifel. Selbstzweifel sind wirklich toxisch. Und das Gefühl, was damit verbunden ist, nervt auch extrem. Das geht auch wirklich an das Nervensystem. Auf körperliche Ebene belasten Selbstzweifel das Nervensystem und überreizen es auch.”
Da war meine Antwort, auf die ich jahrelang gewartet hatte. Endlich konnte ich verstehen, weshalb ich von Xenija genervt gewesen war. Das Genervtsein hatte nie etwas mit ihr zu tun gehabt, sondern mit mir selbst. Mit dem Kuss, der zwischen Xenija und mir stattfand, hatte ich die Hoffnung gehabt, dass Xenija mich nicht nur auf mentaler Ebene, sondern auch auf körperlicher Ebene lieben würde. Aber das trat nicht ein. Der Kuss war miserabel gewesen und Xenija wollte ihn nicht wiederholen. Meine Selbstzweifel, die ich bereits vor dem Kuss schon hatte, verstärkten sich damit noch mehr und immer, wenn ich Xenija begegnete, wurde ich daran erinnert, dass Xenija mich nicht vollkommen liebte. Sie liebte mich nicht auf die körperliche Art und Weise.
Körperlich liebte sie ihren Freund, Ranko. Damals glaubte ich, er sei der Grund gewesen, weshalb ich von Xenija genervt gewesen war. Xenija hatte seine Charakterzüge angenommen und veränderte sich. Doch in Wahrheit war ich nur eifersüchtig auf ihn gewesen: Denn Xenija liebte ihn so, wie sie mich nie lieben würde.
Genervt sein: Stelle dich deinen Ängsten
Seitdem Bettina Belitz mir erklärt hatte, warum wir manchmal genervt von anderen sind, suche ich nicht mehr bei anderen Menschen die Schuld, sondern frage mich: “Welche Unsicherheiten und Ängste löst der Mensch in mir aus?”
Diese Frage hilft mir ungemein. Zum einem denke ich über mich selbst nach und erkenne, welche Unsicherheiten und Ängste noch in mir lauern, die ich mich stellen kann. Zum anderen verhindert die Frage viele aufkeimende Konflikte. Normalerweise wende ich mich von den Menschen ab, wenn ich von ihnen genervt bin, oder antworte ihnen patzig. Doch mit dem Wissen, dass sie nur meine Ängste widerspiegeln und nichts für meine Gefühlslage können, verschwindet auch das Genervtsein und ich kann das Gespräch mit ihnen im ruhigen Ton fortführen.
Genervt zu sein ist demnach ein gutes, körperliches Zeichen. Es macht uns auf unsere Ängste aufmerksam. Und sobald wir darauf aufmerksam geworden sind, können wir daran arbeiten, uns ihnen zu stellen.