“Wenn ich nicht aus meinen Fenstern hinausschauen kann, weil sie zu dreckig sind, dann mach ich die Fenster einfach auf.” Meine Oma, die ihre Fenster einmal im Monat putzt, schüttelte fassungslos den Kopf, als sie in meiner Gegenwart die Worte ihrer Freundin wiederholte. Ich musste hingegen lachen, denn ich glaube, ihre Freundin hat das Leben verstanden.
Was denken die anderen wohl von mir?
Kurz nachdem ich mit Benedikt zusammengezogen war, sagte ich zu ihm: “Wir müssen unbedingt die Fenster putzen. Die sind schon wieder dreckig.”
Gleichgültig zuckte Benedikt mit den Schultern. “Ist doch egal, ob die dreckig sind. Wen stört’s?”
“Mich stört es.”
“Wenn du meinst, du müsstest die Fenster putzen, dann mach das. Aber ich sag dir eins: Beim nächsten Regen sehen sie wieder so aus. Nutze die Zeit lieber sinnvoller.“
Ich nickte, starrte weiterhin die dreckigen Fenster an und dachte über Benedikts Worte nach. Auf der einen Seite juckte es mich in den Fingern, die Fenster zu putzen. Aber nicht, weil Fensterputzen mir Spaß machte. Im Gegenteil: Für mich ist Fensterputzen eine zeit – und nervenaufwendige Sache. Mindestens den halben Tag bin ich damit beschäftigt, die Scheiben zu wischen und zu hoffen, dass diese streifenfrei bleiben. Und wer Dachfenster hat – so wie Benedikt und ich – weiß, dass diese Art von Fensterputzen nochmal eine Herausforderung für sich ist. Beim Fensterputzen fällt natürlich auch der Dreck in die Wohnung, sodass ich den restlichen Tag noch die Wohnung putze. Im Endeffekt bin ich einen kompletten langen Tag nur am Putzen.
Daher juckte es mich in den Fingern, die Fenster zu putzen, weil ich mich für meine dreckigen Fenster schämte. Wenn Benedikt und ich demnächst Besuch bekommen würden, was würde der Besuch nur von uns denken? Ich bildete mir ein, sie würden mich verurteilen: “Hat Lea sich mal ihre Fenster angeschaut? Die sind ja total dreckig und sollten dringend geputzt werden.” Oder: “Ist Lea zu faul zum Fensterputzen oder warum sind sie so dreckig?”
Ich putzte meine Fenster also nur für unseren Besuch. Für alle anderen, weil ich nicht verurteilt werden wollte. Aber wenn es nach mir gehen würde? Wenn ich nur nach mir schaue? Finde ICH es notwendig, die Fenster zu putzen? Ganz klar: Nein.
Den Tag sinnvoll nutzen
Seit dem Gespräch mit Benedikt habe ich mich dazu entschieden, meine Fenster einmal im Jahr – an einem Herbsttag – zu putzen. Das reicht mir vollkommen aus. Meistens hilft Benedikt mir dabei, sodass das Putzen nicht ganz so langwierig und langweilig ist. Und manchmal kann es dann auch vorkommen, dass mir das Fensterputzen dann sogar Spaß macht.
Ich möchte den Tag nicht mit ständigen Fensterputzen verschwenden, nur damit andere meine Wohnung als sauber empfinden. Ich möchte den Tag lieber sinnvoller nutzen und meine Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden, dem Klavierspielen oder dem Geschichtenschreiben verbringen. Denn diese Dinge sind so viel wichtiger als saubere Fenster.
Ich stelle mir vor, wenn ich eines Tages sterbe: Was soll mein letzter Gedanke sein? Saubere Fenster? Nein. Ich möchte an die Zeit denken, die ich mit meinen Liebsten und mit meinen Hobbys verbracht habe. Ich finde, diese Art von Zeitvertreib füllt das Leben aus.
Wir sollten öfters innehalten und darüber nachdenken, was wirklich wichtig im Leben ist.